26.10.2023
Ende Oktober wurde im MAN Truck Forum ein Zwischenfazit zum Förderprojekt ATLAS-L4 gezogen. Wichtige Meilensteine sind erreicht. Jetzt steht der Praxistest im Jahr 2024 bevor.
Der fahrerlose Lkw kommt Schritt für Schritt näher. Das zeigte sich eindrucksvoll bei der Zwischenpräsentation des Projektes ATLAS-L4 im MAN Truck Forum. „Das Herz schlägt höher, denn hier sieht man die Zukunft. ATLAS-L4 wird die Logistik verändern“, sagte Dr. Frederik Zohm, Vorstand für Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus, bei der Begrüßung.
Seit Januar 2022 arbeiten die zwölf Projektpartner MAN Truck & Bus, Knorr-Bremse, Leoni, Bosch, Fernride, BTC Embedded Systems, Fraunhofer AISEC, Technische Universität München, Technische Universität Braunschweig, TÜV SÜD, Autobahn GmbH und das Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften (WIVW) GmbH gemeinsam daran, autonome Trucks auf die Straße zu bringen. Das Akronym des Forschungs- und Entwicklungsprojekts ATLAS-L4 steht für „Automatisierter Transport zwischen Logistikzentren auf Schnellstraßen im Level 4“.
Den Rahmen für ATLAS-L4 bildet das im Jahr 2021 verabschiedete Gesetz zum autonomen Fahren, das autonomes Fahren auf fest definierten Strecken unter einer technischen Aufsicht grundsätzlich ermöglicht. Trotz unvorhersehbarer Ereignisse wie dem Ukraine-Krieg ist das Projekt im Zeitplan. Nach den ersten 22 Monaten hat das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderte Vorhaben bereits wichtige Meilensteine erreicht, wie die Präsentationen von MAN Truck & Bus und der Partner zeigten.
„Mit ATLAS-L4 wird bald erstmals ein autonom fahrender Truck auf einer Autobahn in Deutschland unterwegs sein“, prognostizierte Dr. Zohm. „So wollen wir zur Hub-to-Hub-Automatisierung, also zum fahrerlosen Pendeln zwischen Logistikhöfen, und damit zu mehr Sicherheit, mehr Effizienz und weniger Staus auf den Straßen beitragen. Auch dem Fahrermangel kann mit Automatisierungskonzepten begegnet werden.“
Im MAN Truck Forum konnten die Veranstaltungsteilnehmer das Prototypenfahrzeug sehen. Es zeichnet sich durch Sensoren auf dem Dach, an der Front und an den Seiten der Fahrerkabine sowie durch verbaute Rechner im Innern aus. Im ersten Schritt dient es als Sensorfahrzeug zur Sammlung von Daten, bevor mit ihm die Funktionsentwicklung für das autonome Fahren unter anderem mit ersten Testfahrten auf der Autobahn beginnt.
Die ersten Kilometer hat das Fahrzeug bereits auf dem Münchner Testgelände von MAN erfolgreich zurückgelegt. Wichtige Funktionalitäten und Schnittstellen standen dabei auf dem Prüfstand. Erstmals haben die Komponenten miteinander kommuniziert, und erstmals haben die Sensoren eine realitätsgetreue Umfelderkennung vorgenommen. Noch dieses Jahr sind erste Testfahrten auf der Autobahn geplant.
„Die Förderung von ATLAS-L4 ist ein Meilenstein. ATLAS-L4 ist ein Wegweiser und die Antwort auf den Fahrermangel sowie auf Staus und Unfälle. Das Projekt kann dazu beitragen, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken“, sagte Lennart Korsten vom Projektträger TÜV Rheinland Consulting GmbH, der im Auftrag des BMWK die Projektträgerschaft innehat.
Wichtige Meilensteine sind bereits erreicht. Die für die Level-4-Architektur sicherheitsrelevanten Subsysteme Bordnetz, Lenkung und redundantes Bremssystem sind konzeptioniert und bereits in ersten Musterständen erprobt. Das Control Center für die technische Aufsicht wurde im September 2023 erfolgreich in Betrieb genommen und die Verbindung zum Fahrzeug installiert. Ein Web-Interface stellt das Fahrzeug auf einer Karte mit allen relevanten Informationen wie Geschwindigkeit und Automatisierungsstatus dar. Außerdem wurde mit dem Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC die projektbegleitende Risikoanalyse für das Fahrzeug erfolgreich durchgeführt. Das umfasst Themen wie Cybersicherheit und die Definition von Sicherheitsmaßnahmen.
Die Projektpartner präsentierten ihre Arbeit im Foyer des Forums. Zwei Beispiele: Der Simulator von Control Center und Teleoperation war ein Publikumsrenner. Einmal im Cockpit sitzen und erleben, wie von einem Control Center aus der Truck durch eine enge Baustelle ferngelenkt werden könnte – das war ein Vorgriff auf den Arbeitsplatz der Zukunft, von dem aus autonom fahrende Lkw begleitet werden.
Der Stand der BTC Embedded Systems AG zeigte, wie mit der Veränderung einzelner Parameter Risikoszenarien berechnet werden. So lassen sich beispielsweise die Angaben zur Geschwindigkeit oder dem Einscheren nach dem Überholvorgang variieren. Das Ganze wird wie in einem Computerspiel anschaulich nachgeahmt und im Ergebnis zeigt sich, ob die Software des Lkw für die Veränderungen gewappnet ist. „Klassische Tests sind für autonome Fahrzeuge nicht mehr ausreichend“, erklärte Dr. Matthias Büker von BTC bei der Präsentation. „Virtuelle Tools bedeuten weniger Aufwand, niedrigere Kosten und vor allem Skalierbarkeit.“
Der nächste große Meilenstein ist die Premiere im öffentlichen Straßenverkehr. Voraussichtlich noch in diesem Jahr soll es für das Testfahrzeug zu ersten Fahrten auf die Autobahn gehen – immer mit einem Sicherheitsfahrer an Bord. „Bislang sind wir bei früheren Projekten eher mit niedriger Geschwindigkeit im geschlossenen Umfeld wie im Hamburger Hafen unterwegs gewesen. Jetzt geht es um Hochgeschwindigkeitsszenarien mit 80 km/h. Hier spielt jetzt das Realverhalten von anderen Verkehrsteilnehmern hinein“, sagte Leonie Wulf von MAN Truck & Bus zu den Aufgaben im Bereich Funktionsentwicklung, Tooling, Tests und Validierung.
Es wurde deutlich, wie alle Meilensteine zum langfristigen Ziel von ATLAS-L4 beitragen: der Beweis, dass der Einsatz von Level-4-automatisierten und damit von fahrerlosen Fahrzeugen auf der Autobahn machbar ist. Das ist die Voraussetzung für künftige Serienanwendungen für eine Logistik 4.0 – ermöglicht durch das Netzwerk, das das starke Konsortium von ATLAS-L4 bietet. Das Projekt läuft bis Dezember 2024. Am Ende soll ein industrietaugliches Konzept für den Betrieb automatisierter Lkw auf der Autobahn vorliegen.
Text: Anke Kotte
Fotos: MAN