25.05.2022
Das Projekt ANITA will den Containerumschlag zwischen Lkw und Bahn automatisieren und dadurch effizienter gestalten. Ende Mai war Halbzeitbilanz auf der MAN Testrecke.
Es schüttet aus allem, was der Himmel über München hergibt. An der MAN Teststrecke bilden sich große Pfützen, in denen sich die dunklen Wolken spiegeln. Keine idealen Voraussetzungen für Bertha, den sympathisch grünen Test-Lkw, der gleich zeigen soll, wie er autonom über die Strecke rollt. Denn jetzt muss sich die Technik unter erschwerten Bedingungen bewähren: Die Sensoren am Führerhaus müssen nicht nur Hindernisse identifizieren, die über die Strecke verteilt sind – sie müssen auch die Spiegelungen auf der nassen Straße erkennen und ignorieren.
Dann geht es los. Bertha tastet sich über den Asphalt der Teststrecke, passiert die Hindernisse, und nach einigen Minuten Fahrt gleitet der Truck regelrecht ans Ziel. Der Sicherheitsfahrer im Cockpit musste kein einziges Mal eingreifen. Man fragt sich angesichts der reibungslos arbeitenden Technik unwillkürlich: Kann ein Mensch genauso sanft abbremsen?
Diese erste öffentliche Fahrt des autonomen Trucks ist Teil der Halbzeitbilanz des Automatisierungsprojekts ANITA („Autonome Innovation im Terminalablauf“), an dem neben MAN Truck & Bus auch die Deutsche Bahn, die Hochschule Fresenius und die Götting KG beteiligt sind. Seit Juli 2020 arbeiten die Partner in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Pilotprojekt (Laufzeit: 39 Monate) daran, den Containerumschlag zwischen den Verkehrsträgern Lkw und Bahn zu automatisieren – und nun auch den nächsten Schritt hin zu automatisierten Hub-to-Hub-Verkehren zu gehen.
Fachgespräche, Interviews, Pressetalks, Workshops und Testfahrten: Die Halbzeitbilanz des Automatisierungsprojekts ANITA auf der MAN Teststrecke war ein voller Erfolg.
„Der Lkw muss Augen und Ohren bekommen. Die grundlegende Automatisierungstechnologie für ANITA ist bereit. Für die Feinabstimmung gehen wir nun in den direkten Abgleich in der Praxis, um das System weiterzuentwickeln“, so Dr. Frederik Zohm, Vorstand für Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus, anlässlich der Halbzeitbilanz in München. Ab Ende des Jahrzehnts sollen autonome Lkws für entsprechend ausgerüstete Container-Umschlagplätzen in Serie gehen. „Mit Hilfe der kürzlich vom Bundesrat verabschiedeten Verordnung zum Gesetz zum autonomen Fahren kann Deutschland Vorreiter auf diesem Gebiet sein“, glaubt Zohm.
Doch erst einmal geht es in die zweite Halbzeit des ANITA-Projektes. Die Test-Lkws, die von den Ingenieuren auf die Namen Anton, Bertha und Newton getauft wurden, werden künftig am DUSS-Terminal und im DBIS-Depot in Ulm „weitergebildet“. Ein Jahr sollen die Erprobungsfahrten dauern, um weitere Daten und Erfahrungen zu sammeln und den autonomen Prototyp schrittweise weiterzuentwickeln. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden dann schrittweise über Software-Updates implementiert. Ziel ist es, dass die Technik in Zukunft menschliche Wahrnehmungen und Handlungen ersetzen kann.
ANITA – so funktioniert's.
„Schiene und Straße kombiniert – das ist die umweltfreundliche Lösung für die Logistik der Zukunft. Wir arbeiten hier zusammen, damit diese intermodalen Verkehre wachsen. Digitalisierung und Automatisierung helfen uns, die Schnittstellen zum Güterzug, die Abläufe in den Terminals einfach und schnell zu machen“, sagt Dr. Sigrid Nikutta, Vorstand Güterverkehr der Deutschen Bahn AG und Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG.´
Sie nimmt bei der Präsentation auch den Terminal 4.0 sowie seine Potenziale in den Blick und verspricht sich durch die Digitalisierung gerade beim Umladen von Straße auf Schiene, wie auch von Schiene auf Straße große Zeitgewinne. Müssen heute noch Güterzüge von Hand abgekoppelt und die Wagen einzeln und analog verteilt werden, soll dies im Terminal 4.0 automatisiert und ferngesteuert geschehen.
Wie im Leben gilt auch beim autonomen Fahren: Ohne Kommunikation geht gar nichts. Damit der autonome Lkw seine Transportaufgabe im Containerumschlag erfüllen kann, muss er mit der Infrastruktur von DBIS Depot und DUSS Terminal kommunizieren können. Dafür haben die Wissenschaftler der Hochschule Fresenius in der ersten Projektphase die bestehenden Prozesse, Abläufe und Verhaltensweisen von Menschen und Maschinen vor Ort analysiert und in ein digitales Regelwerk übertragen.
Als gemeinsame Sprache für die eindeutige und vollständige Kommunikation aller beteiligter Systeme dient die Contract Specification Language (CSL) von Deon Digital. Entstanden ist so eine komplette Missionsplanung, die sowohl das Fahrzeug als auch die IT-Systeme von DBIS Depot und DUSS-Terminal miteinander verbindet.
„Wir freuen uns zu sehen, wie unsere Vorarbeit erfolgreich im Zusammenspiel mit dem Lkw im weiteren Projektverlauf von ANITA genutzt werden kann“, sagt Prof. Dr. Christian T. Haas von der Hochschule Fresenius. Die Missionsplanung der Wissenschaftler übermittelt dem automatisierten Lkw in den kommenden Praxisfahrten seine Aufträge und begleitet ihn durch den Prozess des Containerumschlags.
Ziel ist es, den Lkw irgendwann in den Mischverkehr zwischen den Logistik-Hubs zu bringen, wo ihm Menschen, Radfahrer oder Autos begegnen. Um diese Komplexität besser abbilden zu können, arbeitet das Team um Christian Haas auch mit digitalen Zwillingen. Damit lässt sich eine Vielzahl von Verkehrssituationen simulieren, sodass der Lkw lernen kann, sicher darauf zu reagieren. Ein kräftiger Regenguss gehört bestimmt auch dazu.
Text: Anke Kotte
Fotos: MAN